Das ist es! Das ist es nicht!
Vortrag über das Künstler*innenbegehren
mit Roland Barthes und Jacques Lacan
Abstract
In seinem 19. Seminar … Ou Pire / … Oder Schlimmer formuliert Jacques Lacan eine Anti-Wittgenstein’sche These: es sei zwar korrekt, dass die Sprache nicht alles sagen könne, was uns jedoch nicht davon abhalte, ununterbrochen zu sprechen. Das Unaussprechliche, so Lacan, hat nicht alleine im Mystischen seinen Ort, sondern es zeigt sich mitten in der Sprache, nämlich dort wo sie scheitert, sich verhakt, sich widerspricht. Das stets sein Ziel verfehlende Begehren sei nur auf der Ebene des Anspruchs zu fassen, nämlich dort, wo dieses von einem Mangel bewegt wird. Unter den wechselnden Ansprüchen verberge sich die immer gleiche Aussage: Das ist es nicht! Roland Barthes wiederum spricht von Momenten der Erhellung, in denen das Subjekt ein bestimmtes Detail eines Gegenstandes als ein Objekt des Begehrens wiedererkennt, was es mit dem affektiven Ausruf Das ist es! kundtut. In seiner Vorlesungsreihe Das Neutrum bringt er diese Äußerung mit dem Gefühl der Eingebung in Verbindung: das Denken bricht aus der kausalen Kette aus und springt ins Unbekannte.
Beide Ausrufe, Das ist es! (Barthes) und Das ist es nicht! (Lacan) beziehen sich auf ein verlorenes oder nie da gewesenes Objekt, das entweder stets verfehlt oder erst in seiner Fremdheit (wieder)erkannt wird. Welche Positionierungen zum Begehren, insbesondere zum Künstler*innen-Begehren, lassen sich in der Gegenüberstellung beider Autoren ablesen? Im Vortrag wird die These formuliert, dass sowohl der Einfall als Wiederkennen des Unbekannten (Das ist es!) als auch das stete Verfehlen des verlorenen Objekts (Das ist es nicht!) die produktive Unruhe des Schaffens antreiben.
TAGUNG
Figuren des Mangels - Zur Stellung des Menschen in einer technisierten Umwelt
13. - 14. Mai 2022 HBK Essen
Das Konzept „Mängelwesen“ hat seine vielleicht bekannteste Formulierung auf dem Feld der Geisteswissenschaften durch die Reflexion des deutschen Philosophen Arnold Gehlen gefunden. In seinem Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt entwirft er die umstrittene These, dass der Mensch ein Mängelwesen sei, da er weder somatisch, noch auf dem Feld der Instinkte, eine adäquate Anpassung an die Welt aufweisen könne: Im Vergleich zu anderen Lebensformen und Spezies ist der Mensch arm an Mitteln zur Befriedigung sinnlicher Bedürfnisse, weshalb er durch Technik und Gestaltungsstrategien mit seiner Umwelt fortwährend interagieren muss. Eine solche Mangelhaftigkeit wirft die Frage auf, welche Rollen die neuen Technologien und mit ihnen jede Form von Gestaltung der Wirklichkeit spielen, um die Relation des Menschen mit seiner Umwelt zu bestimmen. Konzepte, wie die der Prothese oder des artifiziellen Enhancement zeigen, dass ausgehend vom Körper nach Optimierung gestrebt wird. Die Ausgestaltung unseres Umfelds mit technischen Lebensformen, welche Technologien der KI potenziell hervorbringen, zielt auf eine äußerliche Anpassung mit bisher nicht gekannten Potenzialen für Komfort und Einflussnahme. Im Rahmen der Tagung werden diese Aspekte auf dem Gebiet der Philosophie, Medien- und Designtheorie thematisiert und mit brisanten Themenkomplexen der künstlichen Intelligenz und des Digitalen verknüpft. „Figuren des Mangels“ möchte eine Gelegenheit darstellen, einen Diskussionsraum für eine kritische Reflexion über derartige Themen zu eröffnen.
Freitag, 13. Mai 2022
Kulturen des Mangels
Begrüßung und Einführung
Prof. Dr. Sabine Bartelsheim (Präsidentin der HBK Essen)
Prof. Dr. Thilo Schwer (HBK Essen)
Prof. Dr. Luca Viglialoro (HBK Essen)
Prof. Dr. Martina Heßler
Das Ende des modernen Mängelwesens Mensch? Zu einer überkommenen Figur der Moderne in digitalen Zeiten
Prof. Dr. Hyun Kang Kim
Der unfertige Mensch und seine Technik
Prof. Dr. Peter Trawny
Das „Mängelwesen“ und die Kybernetik
Prof. Dr. Michael Cuntz
„Assoziiertes Milieu“ und „Parasit“ als Figuren der Ambivalenz
Prof. Dr. Antonio Lucci
Das Subjekt zwischen Mängel- und Luxuswesen: eine kulturwissenschaftliche Perspektive
Marie von Heyl
Das ist es! — Das ist es nicht!
Prof. Dr. Johannes Waßmer
Mängelwesen und modrige Pilze im Mund? Schrift als Vollzug und als Präsenz
Thomas Jäger
Existentieller Mangel in der zweiten Natur: Schutz und positive Erfahrungen durch Humanitäres Design in Theorie und Praxis
Prof. Martin Ganteföhr
Superkräfte!
Dr. Anna Maria Loffredo
Von Mangel keine Spur! Figurative Monumentalisierungen im Sport
Samstag, 14. Mai 2022
Dispositive des Mangels
Begrüßung
Prof. Dr. Thilo Schwer (HBK Essen)
Prof. Dr. Luca Viglialoro (HBK Essen)
Dr. Dr. Florian Arnold
Einbildungskraft – Einbildungsschwäche?
Dr. Alessandro De Cesaris
Projektion und Projekt. Die Technikphilosophie Ernst Kapps zwischen Medienökologie und Design.
Eckart Löhr
Die verdinglichte Welt – Von der defizienten Naturkonzeption der Moderne zur holistischen Perspektive
Abschlussdiskussion