Horror Vacui / Horror Abundantiae
Vorschlag einer Schaffenstheorie am Beispiel der Schaffenskrise
In seiner Vorlesungsreihe über Malerei beschäftigt sich Gilles Deleuze mit einem bekannten Problem der künstlerischen Produktion: Horror Vacui, die Angst vor der Leere. Was ist so schrecklich an der leeren Leinwand, welche Angst treibt die Malerin angesichts der creatio ex nihilo um? Die Antwort erstaunt: die Leinwand ist nicht leer, im Gegenteil, sie ist dicht bevölkert, und zwar mit unzähligen Klischees. Jeder schöpferische Akt, so Deleuze, beginnt mit der Auslöschung der Geister und Kreaturen (der Klischees), die die Leinwand heimsuchen. Schöpfung beginnt nicht mit Addition, sondern mit Subtraktion. Aus der Sicht der Schöpferin – so die Konsequenz dieser Überlegung – sind Leere und Überfülle, Absenz und Exzess, das Gleiche. Ist Horror Vacui also eigentlich Horror Abundantiae?
Kombiniert man diese These mit der Ereignis-Theorie Alain Badious, lässt sich der Schaffensprozess als creatio ex nihilo aus dem Seinsüberhang (Exzess) einer Situation beschreiben. Denn auch Badiou stellt letztlich die Frage, wie Neues in die Welt kommt. Was sind die Bedingungen des Übergangs vom Nicht-Sein zum Sein? Wie kann etwas aus der Nichtkonsistenz (das Nicht-Denkbare) in die Konsistenz (das Denken) gehoben werden? Das Ereignis fördert etwas zutage, das zwar einem gegebenen symbolisch strukturiertem Konsistenz-Zusammenhang angehört, allerdings als überschüssiges Element, das von der Struktur aus nicht erfasst werden kann, weshalb es ein Ereignis ex nihilo ist.
Auf das Phänomen der Schaffenskrise angewendet, zeigt sich allerdings, dass der Badiousche Ereignis-Theorie ein Schritt fehlt, um die künstlerische Produktion in all ihren Phasen überzeugend zu beschreiben. Das Badiousche Individuum wird in seiner Positivität angerufen, und erst durch das Ereignis zum Subjekt. Mein Beitrag schlägt eine Alternative vor: An der Schaffenskrise lässt sich darstellen, dass die formale Struktur jeder Produktion den Sturz in die Leere/den Exzess vorsieht, und somit zur Bedingung des Übergangs von nichts zu etwas wird.